Die Archimedischen Körper

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Geschlossene, konvexe Polyeder mit Begrenzungsflächen aus regelmäßigen Vielecken sind im einfachsten Fall die Platonischen Körper, wenn nämlich nur eine Art von regelmäßigen Polygonen zugelassen wird. Wenn wir diese Einschränkung lockern und mehrere Arten von regelmäßigen, untereinander konkruenten Polygonen zulassen, gibt es weitere Klassen von Polyedern, die so genannten semiregulären Polyeder, darunter die meist hochsymmetrischen Archimedischen Körper. Reichlich Information hierzu findet man im Internet unter dem Suchwort "Archimedische Körper"; siehe insbesondere:

http://www.mathe.tu-freiberg.de/~hebisch/cafe/archimedische.html
http://www.dbilink.de/Archimedischer-Koerper.html

Definition
Ein geschlossenes, konvexes Polyeder heißt semiregulär, wenn
1. seine Oberfläche aus mehr als einer Art von regelmäßigen, untereinander konkruenten Vielecken aufgebaut ist und wenn
2. jede seiner Ecken auf jede andere durch Symmetrieoperationen abgebildet werden kann.
Ein semireguläres Polyeder heißt Archimedischer Körper, wenn es sich nicht um ein Prisma oder ein Antiprisma handelt.

Unter den semiregulären Körpern gibt es:
1. Prismen mit quadratischen Seitenflächen und regelmäßigen n-Ecken als Deck- und Bodenflächen. Sie haben die Punktgruppen Dnh mit n = 3, 5, 6, ...; der Würfel (n = 4) ist auszunehmen.
2. Antiprismen mit gleichseitigen Dreiecken als Seitenflächen und regelmäßigen n-Ecken als Deck- und Bodenflächen. Sie haben die Punktgruppen Dnd mit n = 4, 5, 6, ...; das reguläre Oktaeder (n = 3) ist auszunehmen.
3. 13 Archimedische Körper, und zwar 11 achirale und 2 chirale, die in zwei enantiomeren Formen konstruiert werden können.

Archimedes (287-212 v. Chr.) kannte offenbar diese letztgenannten dreizehn regulären Polyeder, doch sind seine Schriften hierzu verloren gegangen. Die Archimedischen Körper sind von Johann Kepler (1571-1630) erneut untersucht worden. Ihm gelang erstmals ihre Aufzählung, das heißt die Aufstellung einer vollständigen Liste und der Nachweis der Vollständigkeit der Liste. Die Methode von Kepler erfordert drei Schritte.
1. Im ersten Schritt wird eine Liste aufgestellt, welche regelmäßigen Polygone zu einer Ecke mit einer Winkelsumme < 360° kombiniert werden können.
2. Im zweiten Schritt ist zu prüfen, ob mit jeweils einer Art dieser Ecken ein geschlossenes Polyeder konstruiert werden kann. Dies erweist sich als nicht immer möglich.
3. Schließlich muss gezeigt werden, dass die zweite Bedingung der Definition erfüllt ist.
Es liegt dann entweder ein semireguläres Prisma oder Antiprisma vor oder andernfalls ein Archimedischer Körper.

Wir behandeln hier nur wenige Beispiele. Einige der Archimedischen Körper können aus Platonischen Körpern durch Abschneiden oder Kappen der Ecken erhalten werden. Wir zeigen dies an einem Würfel . Wir schneiden alle acht Ecken so ab, dass die Schnittebene senkrecht zur jeweiligen Raumdiagonalen steht. Das Ergebnis hängt davon ab, wie weit die Schnittebene von der Ecke weg in Richtung auf das Zentrum gelegt wird.
– Den ersten Archimedischen Körper (Abb. links) erhält man, wenn von den Quadraten des Würfels regelmäßige Achtecke übrig bleiben. Das ist der abgestumpfte Würfel aus acht gleichseitigen Dreiecken und sechs regelmäßigen Achtecken.
– Wenn die Würfelkanten gerade verschwinden, erhält man als zweiten Archimedischen Körper das Kuboktaeder (Abb. Mitte) aus acht gleichseitigen Dreiecken und sechs Quadraten. Dieses Polyeder tritt häufig in kubischen Festkörperstrukturen auf.
– Wenn man noch tiefer schneidet, treten statt der Dreiecke Sechsecke auf. Der nächste Archimedische Körper (Abb. rechts) ist das abgestumpfte Oktaeder aus sechs Quadraten und acht regelmäßigen Sechsecken. Man kann die Entstehung dieses Körpers leichter nachvollziehen, wenn man vom Oktaeder ausgeht und dessen Ecken kappt.
– Wenn schließlich von den Quadraten nur noch die Mittelpunkte übrig bleiben, ist der resultierende Körper ein reguläres Oktaeder.

aus Würfel

Wir halten nochmals fest, was wir hier lernen.
1. Die Symmetrie aller Polyeder, die wir beim Kappen durchlaufen, ist immer die gleiche: die oktaedrische Symmetrie Oh, unabhängig davon, wie tief die Schnittebene gelegt wird!
2. Wenn senkrecht zu einer C3-Achse Sechsecke auftreten, müssen diese nicht regelmäßig sein. Das Gleiche gilt für die Achtecke senkrecht zu einer C4-Achse. Die angeführten Archimedischen Polyeder erscheinen als spezielle Fälle, bei denen die Sechs- bzw. Achtecke gerade regelmäßig sind.

Es gibt ein weiteres Beispiel, das man nicht übergehen kann. Wenn man die zwölf Ecken des Ikosaeders ziemlich weit außen kappt, entstehen Polyeder aus 12 regelmäßigen Fünfecken und 20 Sechecken. Wenn die Sechsecke regelmäßig sind, hat man einen weiteren Archimedischen Körper, das abgestumpfte Ikosaeder mit der Symmetrie Ih. Dieses Polyeder liegt der Felderung von Fussbällen zu Grunde. Das Molekül der Kohlenstoff-Modifikation Fulleren C60 hat näherungsweise die Struktur des abgestumpften Ikosaeders mit 12 regelmäßigen Fünfringen und zwanzig Sechsringen; die C-C-Bindungslängen in den Sechsringen sind allerdings nicht exakt gleich.

Fulleren

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