Wir befassen uns in diesem Abschnitt mit zwei mathematischen Begriffen Operatoren und Gruppen und geben eine erste Erklärung ihrer Bedeutung. Beide Begriffe spielen in der Symmetrielehre eine zentrale Rolle. In höheren Semestern werden häufig Vorlesungen über Gruppentheorie angeboten. Es sollte mit dem, was wir hier lernen, leichter fallen, ein solches Angebot zu bewerten und sich dafür oder dagegen zu entscheiden. Man kann diesen Abschnitt aber auch zuerst einfach überspringen.
Die Begriffe Abbildung, Funktion, Operator und Transformation werden in der Mathematik als synonym betrachtet. Welcher dieser Begriffe in einem gegebenen Kontext verwendet wird, ist deshalb stark durch Lehrtraditionen beeinflusst.
Wir wollen mit einem einfachen Beispiel konkret werden. Wir
betrachten dazu Polynome in x. Auf diese sollen zwei Operatoren
einwirken können, nämlich
1. ein Operator M für die Vorschrift "multipliziere das
Polynom mit x";
2. ein Operator D für die Vorschrift "differenziere das
Polynom nach x".
Es gelten dann z.B. folgende Gleichungen:
(1) M(x2 - 1) = x3 - x
(2) D(x2 - 1) = 2x
Operatoren sind also so etwas wie eine Rechenvorschrift. Wir können
auch mehrere Operationen hintereinander durchführen und schreiben z.B.:
(3) DM(x2 - 1) = 3x2 - 1
(4) MD(x2 - 1) = 2x2
Wir bezeichnen Ausdrücke wie DM als ein Produkt von Operatoren. Die einzelnen Operationen werden
von rechts nach links durchgeführt; im Beispiel DM (Gl. 3) wird zuerst
multipliziert, dann differenziert. Das Beispiel zeigt uns einen ganz
wichtigen Punkt: Die Reihenfolge der Faktoren in diesem Produkt ist
wesentlich. Man sagt, die beiden Operatoren M und D sind nicht vertauschbar.
Wer bis dahin nur mit der Multiplikation von Zahlen zu tun hatte, wird diese
Eigenschaft von Operatoren als ungewöhnlich empfinden. Und dabei ist es
doch nur so wie im gewöhnlichen Leben: Beim Anziehen von Hemd und
Unterhemd ist das Ergebnis doch auch von der Reihenfolge der beiden
Operationen abhängig.
Wir haben früher die SOs mit Symbolen wie C3 und E bezeichnet, die wir von jetzt an als Symbole für Symmetrieoperatoren ansehen wollen. Man kann mit Symmetrieoperatoren eine Operatorenalgebra entwickeln. Einfache Rechenbeispiele zum Thema Symmetrieoperatoren sind in den Übungen zu finden.
Wir greifen nochmals auf das Wasser-Molekül zurück. Hier sind vier SOs möglich: E, C2, σv und σv'. Die Symmetrie des Moleküls ist durch die Angabe der vier SOs vollständig beschrieben. Diese Feststellung bringt uns zu dem folgenden Satz.
Satz
Die Symmetrie eines Objekts (Moleküls, Kristalls) wird durch die Angabe
aller an diesem Objekts möglichen SOs vollständig beschrieben.
Dieser Satz ist zwar richtig, aber praktisch wenig brauchbar. Die Zahl der
SOs ist bei translatorischer Symmetrie unendlich. Und selbst wenn nur
Punktsymmetrie vorliegt, kann die Anzahl der SOs unpraktisch groß werden,
z.B. 48 bei einem regulären Oktaeder. Der Begriff der Symmetriegruppen wird uns eine Beschreibung der verschiedenen
Symmetrien mit Hilfe einfacher und höchst kompakter Symbole ermöglichen.
Man unterscheidet:
– Punktgruppen für den Fall, dass nur
Punktsymmetrie vorliegt;
– Translationsgruppen, wenn nur translatorische Symmetrie
vorliegt;
– Raumgruppen, wenn translatorische Symmetrie und
Punktsymmetrie kombiniert sind.
Wir schauen uns hier an, was unter dem allgemeineren Begriff einer mathematischen Gruppe zu verstehen ist.
Definition
Eine nicht leere Menge G von Elementen heißt eine Gruppe, wenn
folgende vier Bedingungen erfüllt sind:
1. Es gibt eine Zusammensetzungsvorschrift, welche je zwei Elementen A
und B ein drittes Element C der gleichen Menge G
zuordnet, so dass AB = C. C heißt das Produkt von A und B.
2. Für die Zusammensetzung gilt das assoziative Gesetz: (AB)C
= A(BC).
3. Es gibt in G ein Einheitselement oder
kurz Einselement E, so dass für alle
Elemente A von G gilt: EA = AE = A.
4. Zu jedem Element A von G gibt es ein inverses Element A -1, so dass für
alle Elemente A von G gilt: A -1A =
AA -1 = E.
Dass die vier SOs des Wasser-Moleküls die obigen Gruppenpostulate
erfüllen, ist leicht nachzuweisen, erfordert aber einiges an trivialer
Fleißarbeit. Immerhin sind folgende Punkte unmittelbar einsichtig:
1. Jede SO führt zu einer ununterscheidbaren Lage. Das gilt dann
notwendig auch, wenn zwei SOs hintereinander durchgeführt werden. Also
ist das Produkt zweier SOs selbst eine SO.
2. Das "in Ruhe lassen" E ist das Einselement.
3. Wenn man eine der vier SOs zweimal durchführt, kommt man in allen vier
Fällen zur Ausgangslage zurück. Jede SO ist daher bei dieser
Symmetrie identisch mit ihrer Inversen.
Weitere Begriffe:
1. Wenn alle Elemente einer Gruppe G bei der Bildung des Produktes
vertauschbar sind, heißt die Gruppe kommutativ oder Abelsch.
2. Wenn die Anzahl der Elemente einer Gruppe endlich ist, spricht man von
einer endlichen Gruppe. Die Anzahl der Elemente
heißt die Ordnung der Gruppe.
3. Manchmal gibt es Teilmengen in G, die selbst wieder die
Gruppenpostulate erfüllen; solche Teilmengen heißen Untergruppen von G.
Die Gruppe des Wasser-Moleküs ist offenbar eine endliche, Abelsche Gruppe der Ordnung vier. Über die folgenden Verweise findet man eine ausführliche Diskussion dieser Gruppe samt ihren Untergruppen und ferner eine Vertiefung des Gruppenbegriffs.
Die Punktgruppe des H2O-Moleküls
Vertiefung: Der Begriff der abstrakten
Gruppe
Wir haben jetzt eine erste Symmetriegruppe genau kennen gelernt. In den Übungen finden sich Beispiele, die die neuen Begriffe vertrauter machen werden.