1.4. Was ist eine Gruppe?

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Wir befassen uns in diesem Abschnitt mit zwei mathematischen Begriffen Operatoren und Gruppen und geben eine erste Erklärung ihrer Bedeutung. Beide Begriffe spielen in der Symmetrielehre eine zentrale Rolle. In höheren Semestern werden häufig Vorlesungen über Gruppentheorie angeboten. Es sollte mit dem, was wir hier lernen, leichter fallen, ein solches Angebot zu bewerten und sich dafür oder dagegen zu entscheiden. Man kann diesen Abschnitt aber auch zuerst einfach überspringen.

Operatoren

Die Begriffe Abbildung, Funktion, Operator und Transformation werden in der Mathematik als synonym betrachtet. Welcher dieser Begriffe in einem gegebenen Kontext verwendet wird, ist deshalb stark durch Lehrtraditionen beeinflusst.

Wir wollen mit einem einfachen Beispiel konkret werden. Wir betrachten dazu Polynome in x. Auf diese sollen zwei Operatoren einwirken können, nämlich
1. ein Operator M für die Vorschrift "multipliziere das Polynom mit x";
2. ein Operator D für die Vorschrift "differenziere das Polynom nach x".
Es gelten dann z.B. folgende Gleichungen:

(1) M(x2 - 1) = x3 - x
(2) D(x2 - 1) = 2x

Operatoren sind also so etwas wie eine Rechenvorschrift. Wir können auch mehrere Operationen hintereinander durchführen und schreiben z.B.:

(3) DM(x2 - 1) = 3x2 - 1
(4) MD(x2 - 1) = 2x2

Wir bezeichnen Ausdrücke wie DM als ein Produkt von Operatoren. Die einzelnen Operationen werden von rechts nach links durchgeführt; im Beispiel DM (Gl. 3) wird zuerst multipliziert, dann differenziert. Das Beispiel zeigt uns einen ganz wichtigen Punkt: Die Reihenfolge der Faktoren in diesem Produkt ist wesentlich. Man sagt, die beiden Operatoren M und D sind nicht vertauschbar.

Wer bis dahin nur mit der Multiplikation von Zahlen zu tun hatte, wird diese Eigenschaft von Operatoren als ungewöhnlich empfinden. Und dabei ist es doch nur so wie im gewöhnlichen Leben: Beim Anziehen von Hemd und Unterhemd ist das Ergebnis doch auch von der Reihenfolge der beiden Operationen abhängig.

Wir haben früher die SOs mit Symbolen wie C3 und E bezeichnet, die wir von jetzt an als Symbole für Symmetrieoperatoren ansehen wollen. Man kann mit Symmetrieoperatoren eine Operatorenalgebra entwickeln. Einfache Rechenbeispiele zum Thema Symmetrieoperatoren sind in den Übungen zu finden.

Kapitel  Übungen

Gruppen

Wir greifen nochmals auf das Wasser-Molekül zurück. Hier sind vier SOs möglich: E, C2, σv und σv'. Die Symmetrie des Moleküls ist durch die Angabe der vier SOs vollständig beschrieben. Diese Feststellung bringt uns zu dem folgenden Satz.

Satz
Die Symmetrie eines Objekts (Moleküls, Kristalls) wird durch die Angabe aller an diesem Objekts möglichen SOs vollständig beschrieben.

Dieser Satz ist zwar richtig, aber praktisch wenig brauchbar. Die Zahl der SOs ist bei translatorischer Symmetrie unendlich. Und selbst wenn nur Punktsymmetrie vorliegt, kann die Anzahl der SOs unpraktisch groß werden, z.B. 48 bei einem regulären Oktaeder. Der Begriff der Symmetriegruppen wird uns eine Beschreibung der verschiedenen Symmetrien mit Hilfe einfacher und höchst kompakter Symbole ermöglichen. Man unterscheidet:
Punktgruppen für den Fall, dass nur Punktsymmetrie vorliegt;
Translationsgruppen, wenn nur translatorische Symmetrie vorliegt;
Raumgruppen, wenn translatorische Symmetrie und Punktsymmetrie kombiniert sind.

Wir schauen uns hier an, was unter dem allgemeineren Begriff einer mathematischen Gruppe zu verstehen ist.

Definition
Eine nicht leere Menge G von Elementen heißt eine Gruppe, wenn folgende vier Bedingungen erfüllt sind:
1. Es gibt eine Zusammensetzungsvorschrift, welche je zwei Elementen A und B ein drittes Element C der gleichen Menge G zuordnet, so dass AB = C. C heißt das Produkt von A und B.
2. Für die Zusammensetzung gilt das assoziative Gesetz: (AB)C = A(BC).
3. Es gibt in G ein Einheitselement oder kurz Einselement E, so dass für alle Elemente A von G gilt: EA = AE = A.
4. Zu jedem Element A von G gibt es ein inverses Element A -1, so dass für alle Elemente A von G gilt: A -1A = AA -1 = E.

Dass die vier SOs des Wasser-Moleküls die obigen Gruppenpostulate erfüllen, ist leicht nachzuweisen, erfordert aber einiges an trivialer Fleißarbeit. Immerhin sind folgende Punkte unmittelbar einsichtig:
1. Jede SO führt zu einer ununterscheidbaren Lage. Das gilt dann notwendig auch, wenn zwei SOs hintereinander durchgeführt werden. Also ist das Produkt zweier SOs selbst eine SO.
2. Das "in Ruhe lassen" E ist das Einselement.
3. Wenn man eine der vier SOs zweimal durchführt, kommt man in allen vier Fällen zur Ausgangslage zurück. Jede SO ist daher bei dieser Symmetrie identisch mit ihrer Inversen.

Weitere Begriffe:
1. Wenn alle Elemente einer Gruppe G bei der Bildung des Produktes vertauschbar sind, heißt die Gruppe kommutativ oder Abelsch.
2. Wenn die Anzahl der Elemente einer Gruppe endlich ist, spricht man von einer endlichen Gruppe. Die Anzahl der Elemente heißt die Ordnung der Gruppe.
3. Manchmal gibt es Teilmengen in G, die selbst wieder die Gruppenpostulate erfüllen; solche Teilmengen heißen Untergruppen von G.

Die Gruppe des Wasser-Moleküs ist offenbar eine endliche, Abelsche Gruppe der Ordnung vier. Über die folgenden Verweise findet man eine ausführliche Diskussion dieser Gruppe samt ihren Untergruppen und ferner eine Vertiefung des Gruppenbegriffs.

Kapitel  Die Punktgruppe des H2O-Moleküls
Kapitel  Vertiefung: Der Begriff der abstrakten Gruppe

Wir haben jetzt eine erste Symmetriegruppe genau kennen gelernt. In den Übungen finden sich Beispiele, die die neuen Begriffe vertrauter machen werden.

Kapitel  Übungen

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