2.4. Die Systematik der Punktgruppen im Schoenflies-System

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nach unten 2.4.1. Die Aufzählung der Punktgruppen
nach unten 2.4.2. Punktgruppen mit höchstens einer Dreh- oder Drehspiegelachse
nach unten 2.4.3. Diedergruppen
nach unten 2.4.4. Hochsymmetrische Punktgruppen

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Das zentrale Thema der Symmetrielehre ist die systematische Aufzählung aller möglichen Punktgruppen. Wir behandeln dieses Thema in zwei Kapiteln.
1. Im voran gegangenen Kapitel haben wir uns mit neuen Ideen und Begriffen vertraut gemacht. Die Systematik blieb mehr im Hintergrund.
2. In vorliegenden strengeren Kapitel konzentrieren wir uns auf die Systematik. Der Haupttext gibt die Übersicht über das Thema. Beispiele, die Anschauung vermitteln sollen, das Einüben des Lernstoffs und technische Details findet man über Verweise.

Beachten Sie, dass die beiden Kapitel parallel organisiert sind. Und dass es im Text Querverweise zwischen entsprechenden Unterkapiteln gibt.

2.4.1. Die Aufzählung der Punktgruppen

Unter Aufzählung der Punktgruppen versteht man erstens eine systematische Auflistung und zweitens den Beweis der Vollständigkeit der Auflistung. Für die Aufzählung der Punktgruppen ist ein solcher Beweis erstmals von dem Göttinger Mathematiker Felix Klein (1849-1925) erbracht worden. Der Beweis ist nicht ganz einfach. Wir begnügen uns damit, im Folgenden die möglichen Klassen von Punktgruppen systematisch aufzuzeigen.

Schoenflies hat in seinem System den Drehungen den Vorzug vor den Spiegelungen gegeben. Bei den Spiegelungen werden die Spiegelungen an einer Ebene oder an einem Symmetriezentrum bevorzugt. Drehspiegelachsen mit n > 2 werden explizit nur verwendet, wenn sie nicht vermeidbar sind. Die Schoenfliessche Prioritierung

 Cn > σ > i > Sn

entspricht übrigens der Reihenfolge bzw. Leichtigkeit, mit der wir erfahrungsgemäß Symmetrien eines Objekts erkennen.

2.4.2. Punktgruppen mit höchstens einer Dreh- oder Drehspiegelachse

Wir beginnen die Aufzählung mit der einfachsten Klasse von Punktgruppen, nämlich den Gruppen, die durch eine Drehung erzeugt werden (1. Klasse); die zugehörige Achse wird stets senkrecht gestellt. Die nächsten Klassen entstehen durch Hinzufügen von vertikalen Spiegelebenen (2. Klasse) oder einer horizontalen Spiegelebene (3. Klasse) oder eines Symmetriezentrums (4. Klasse). Schließlich betrachten wir Gruppen, die durch eine Drehspiegelung (5. Klasse u.a.) erzeugt werden. Stereogramme und Beispiele dazu findet man über Verweise.

1. Punktgruppen mit einer Drehachse

 Cn = [Cn] mit n = 1, 2, 3, ...

Die Gruppe C1 der unsymmetrischen Objekte (Moleküle) ist als Sonderfall zu betrachten.

Kapitel  Stereogramme und Anmerkungen

2. Punktgruppen mit einer Drehachse und vertikalen Spiegelebenen

 Cnv = [Cn, σv] mit n = 1, 2, 3, ..., einschließlich n = unendlich.

Für den Sonderfall der Gruppe mit n = 1 ist es üblich, Cs (mit "s" als Bezug auf Spiegel) zu schreiben. Beim Sonderfall einer Drehachse der Zähligkeit n = unendlich ist die Drehachse notwendig mit vertikalen Spiegelebenen verbunden.

Kapitel  Stereogramme und Anmerkungen

3. Punktgruppen mit einer Drehachse und einer horizontalen Spiegelebene

 Cnh = [Cn, σh] mit n = 2, 3, ...

Der Sonderfall der Gruppe mit n = 1 haben wir weggelassen, weil diese Symmetrie schon unter 2. vorgekommen ist.

Kapitel  Stereogramme und Anmerkungen

4. Punktgruppen mit einer Drehachse und einem Symmetriezentrum

 Cni = [Cn, i] mit n = 1, 2, 3, ...

Für den Sonderfall der Gruppe mit n = 1 ist es üblich, Ci zu schreiben. Das ist die Punktgruppe der zentrosymmetrischen Objekte (Moleküle).

Kapitel  Stereogramme und Anmerkungen

5. Punktgruppen mit einer Drehspiegelachse Sn

Die Punktgruppen, die durch eine Drehspiegelung erzeugt werden, sind überraschend kompliziert. Man muss sie in drei Klassen unterteilen.

 1. Sn = [Sn] mit n = 1, 3, 5, ... mit ungeradem n.
 Diese Gruppen finden sich als Punktgruppen Cnh mit n = 1, 3, 5, ... bereits in der 3. Klasse.
 2. S2n = [S2n] mit 2n = 2, 6, 10, ... mit doppelt ungeradem n.
 Diese Gruppen finden sich als Punktgruppen Cni mit n = 1, 3, 5, ... in der 4. Klasse.
 3. S4n = [S4n] mit 4n = 4, 8, 12, ... mit doppelt geradem n.
 Diese letzten Gruppen sind neu.

Bei den ersten beiden Unterklassen können in der Erzeugenden Drehspiegelungen vermieden werden, indem man die Gruppen durch Drehungen und eine horizontale Spiegelebene bzw. durch Drehungen und eine Inversion erzeugt. Bei der dritten Unterklasse ist die explizite Nennung einer Drehspiegelung in der Erzeugenden nicht vermeidbar. Die entprechenden Gruppensymbole S4, S8 usw. sind die einzigen Gruppensymbole im Schoenflies-System, die sich direkt auf eine Drehspiegelung beziehen.

Kapitel  Stereogramme und Anmerkungen
Kapitel  Eine genauere Analyse der 5. Klasse

Kapitel  Zurück zu den einführenden Beispielen

2.4.3. Diedergruppen

Diedergruppen besitzen mehrere Achsen, aber höchstens eine mit einer Zähligkeit > 2. Die Achse höchster Zähligkeit n heißt Hauptachse. Dazu gibt es noch n zweizählige Nebenachsen, die im rechten Winkel zur Hauptachse, also waagrecht stehen. Im einfachsten Fall gibt es nur Drehachsen (6. Klasse). Es kann aber auch zusätzliche Spiegelsymmetrie geben, die man in Form einer horizontalen Spiegelebene (7. Klasse) oder von diagonalen Spiegelebenen (8. Klasse) hinzufügen kann.

6. Diedergruppen: Gruppen mit einer n-zähligen Hauptachse und zweizähligen Nebenachsen

 Dn = [Cn, C2] mit n = 2, 3, ...

Im Fall der Gruppe D2 gibt es ein orthogonales Dreibein von zweizähligen Achsen; welche der drei Achsen als Hauptachse gewählt wird, ist willkürlich.

Kapitel  Stereogramme und Anmerkungen

7. Diedergruppen mit zusätzlicher horizontaler Spiegelebene

 Dnh = [Cn, C2, σh] mit n = 2, 3, ..., einschließlich n = ∞.

Beim Sonderfall einer Drehachse der Zähligkeit n = ∞ ist die Drehachse notwendig (u.a.) mit einer horizontalen Spiegelebene verbunden.

Kapitel  Stereogramme und Anmerkungen

8. Diedergruppen mit zusätzlichen diagonalen Spiegelebenen

 Dnd = [Cn, C2, σd] mit n = 2, 3, ...

Kapitel  Stereogramme und Anmerkungen

Kapitel  Zurück zu den einführenden Beispielen

2.4.4. Hochsymmetrische Punktgruppen

Die hochsymmetrischen Punktgruppen besitzen mehrere Achsen mit Zähligkeiten n > 2. Es gibt insgesamt sieben solche Gruppen.

9.1. Die Oktaedergruppen O und Oh
Wir beschreiben die oktaedrische Symmetrie zunächst am Beispiel des Würfels.
1. Die Größen des Eulerschen Polyedersatzes: E = 8, F = 6, K = 12.
2. Die Drehachsen: 3 C4, 4 C3, 6 C2.
3. Die drei C4-Achsen verbinden gegenüber liegende Flächenmitten und bilden ein orthogonales Dreibein. Die C3-Achsen enthalten die Raumdiagonalen des Würfels und die sechs C2-Achsen gehen jeweils durch zwei gegenüber liegende Kantenmitten. Die Gesamtzahl der Drehoperationen ist 24. Diese Drehgruppe ist die Oktaedergruppe O.

Die Gruppe O kann um Spiegelungen erweitert werden. Die Symmetrieelemente der Drehspiegelungen: 3 S4, 4 S6, 6 σd, passend zu den oben genannten Drehachsen; ferner 3 σh und das Symmetriezentrum i. Die Zahl der Drehspiegeloperationen ist 24, die Gesamtzahl aller Symmetrieoperationen 48. Diese Punktgruppe heißt Oktaedergruppe Oh; sie ist die Punktgruppe des Würfels und des regulären Oktaeders.

Kapitel  Ergänzungen zu den Oktaedergruppen

9.2. Die Tetraedergruppen T, Td und Th
Wir beschreiben die tetraedrische Symmetrie mit Bezug auf ein reguläres Tetraeder.
1. Die Größen des Eulerschen Polyedersatzes: E = 4, F = 4, K = 6.
2. Die Drehachsen: 3 C2, 4 C3.
3. Die Symmetrieelemente der Drehungen umfassen also ein orthogonales Dreibein von C2-Achsen durch ein Paar gegenüber liegender Kantenmitten und vier C3-Achsen jeweils durch eine Ecke und eine gegenüber liegende Flächenmitte. Die Gesamtzahl der Drehoperationen beträgt 12. Die Punktgruppe mit diesen Drehachsen ist die Tetraedergruppe T.

Es gibt zwei Weisen, Drehspiegelungen hinzunehmen.
1. Die Drehgruppe wird um diagonale Spiegelebenen erweitert. Die Symmetrieelemente der Drehspiegelungen: 3 S4, 6 σd mit 12 Drehspiegeloperationen. Man hat jetzt ein orthogonales Dreibein von drei S4-Achsen. Die Gesamtzahl aller Symmetrieoperationen beträgt 24. Diese erweiterte Gruppe heißt Td; sie ist die Punktgruppe des regulären Tetraeders.
2. Die Drehgruppe wird um horizontale Spiegelebenen erweitert. Die Symmetrieelemente der Drehspiegelungen: 4 S6, 3 σh und i mit zusammen 12 Drehspiegeloperationen. Die Gesamtzahl aller Symmetrieoperationen beträgt 24. Diese erweiterte Gruppe heißt Th. Der anschauliche Bezug zum regulären Tetraeder ist nicht mehr gegeben. Man kann stattdessen von der oktaedrischen Symmetrie des Würfels ausgehen und die vierzähligen Drehachsen zu zweizähligen Drehachsen reduzieren.

Kapitel  Ergänzungen zu den Tetraedergruppen

9.3. Die Ikosaedergruppen I und Ih
Die ikosaedrische Symmetrie lässt sich mit Bezug auf ein reguläres Pentagondodekaeder beschreiben.
1. Die Größen des Eulerschen Polyedersatzes: E = 20, F = 12, K = 30.
2. Die Drehachsen: 6 C5, 10 C3, 15 C2.
3. Die sechs C5-Achsen verbinden gegenüber liegende FLächenmitten. Die 10 C3-Achsen verbinden gegenüber liegende Ecken und die 15 C2-Achsen gehen jeweils durch zwei gegenüber liegende Kantenmitten. Die Gesamtzahl der Drehoperationen ist 60. Diese Drehgruppe ist die Ikosaedergruppe I.

Die Gruppe I kann um Spiegelungen erweitert werden. Die Symmetrieelemente der Drehspiegelungen: 6 S10, 10 S6, 15 σh, passend zu den im vorigen Absatz genannten Drehachsen; ferner das Symmetriezentrum i. Die Zahl der Drehspiegeloperationen ist 60, die Gesamtzahl aller Symmetrieoperationen 120. Diese Punktgruppe heißt Ikosaedergruppe Ih; sie ist die Punktgruppe des regulären Ikosaeders und des regulären Pentagondodekaeders.

Kapitel  Ergänzungen zu den Ikosaedergruppen

Kapitel  Zurück zu den einführenden Beispielen

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